Die Vorgeschichte

 

Im November 2006 haben das Land NRW und die Stadt Leverkusen dem in Leverkusen ansässigen Unternehmen TMD Friction 200 Millionen Euro Steuern erlassen. Diese Summe ist ein Vielfaches des Jahresetats der hoch verschuldeten Stadt Leverkusen. Die Begründung für den Steuererlass ist den Bürgern der Stadt vorenthalten worden. Nachfragen bei der Stadtverwaltung, Lokal-, Landes- und Bundespolitikern, ebenso wie bei Bezirks- und Landesregierung wurden alle mit Verweis auf das Steuergeheimnis abgewiesen. Im April 2007 hat "Der Tagesspiegel" mit dem unten stehenden Bericht über den Steuererlass für TMD Friction berichtet.

 

Als Reaktion auf den Bericht bin ich vielfach gebeten worden, zu erklären, wie die Übernahme eines Unternehmens durch einen Private Equity Fonds und der Weiterverkauf an einen Geier- oder Piranha-Fonds eigentlich abläuft und was die Konsequenzen für Unternehmen, Mitarbeiter und Stadt sind. In vielen Gesprächen haben Mitbürger bei meinen Erklärungsversuchen den Wunsch an mich herangetragen, die Zusammenhänge doch einmal schriftlich darzulegen. Aus dem Versuch, diesen Wünschen zu entsprechen, ist das Buchprojekt entstanden. Als Ergebnis liegt nun das Buch vor:

 

Geld arbeitet nicht – wer bestimmt über Geld, Wirtschaft und Politik? 

 

 

Basierend auf meinen beruflichen Erfahrungen in Industrie und Finanzwirtschaft habe ich in diesem Buch versucht, das Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft an Hand von aktuellen Beispielen nachvollziehbar zu strukturieren und zu beschreiben. Neben der Beschreibung der unterschiedlichen Aufgaben der Finanzwirtschaft und der Schilderung, wer diese Aufgaben wie wahrnimmt, war es mein Ziel, die weit reichenden Konsequenzen des Geschehens in der Finanzwirtschaft für Wirtschaft und Politik herauszuarbeiten.

 

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Bericht im Tagesspiegel

 

gedruckte Ausgabe
vom 12.04.2007

Ressort: Dritte Seite

Die Piranha-Strategie

Firmen kaufen und plündern: Das tun Heuschrecken. Heuschrecken kaufen und plündern: Das ist neu. Doch auch dafür gibt es schon einen Namen. Und ein Beispiel aus Leverkusen

Von Harald Schumann, Leverkusen

 

Als der Unternehmensberater Hauke Fürstenwerth an einem Mittwoch im vergangenen November die Lokalzeitung aufschlug, stand da eine Nachricht, die ihn schockierte und seitdem nicht mehr loslässt: „Stadt verzichtet auf 100 Millionen Euro“, las er, es ging um einen bis dahin geheim gehaltenen Beschluss des Stadtrates von Leverkusen. Fürstenwerth, 59 Jahre alt, Chemiker und langjähriger Forschungsleiter beim Bayer-Konzern, berät heute Investoren bei der Führung neuer Technologieunternehmen. Bis zuletzt hatte er mit Politik nichts im Sinn. Das sollte sich nun ändern.

Das am Ort ansässige Unternehmen TMD Friction, Weltmarktführer bei der Herstellung von Bremsbelägen, sei überschuldet gewesen, las Fürstenwerth. Weil die Gläubiger der Firma bei der Sanierung Schulden erlassen hätten, sei ein Bilanzgewinn von 455 Millionen Euro angefallen, der eigentlich steuerpflichtig war. Um die Sanierung und die 950 Arbeitsplätze nicht zu gefährden, habe Leverkusens Stadtrat dem Antrag der Firma auf Steuererlass stattgegeben. Außerdem, so war zu erfahren, liege der Sitz des Unternehmens künftig im karibischen Steuerfluchtzentrum Cayman Islands.

„Das stank einfach nach Schiebung“, erinnert sich Fürstenwerth. Überall in Leverkusen werde gekürzt und gespart, „und dann verzichtet die Stadt auf das Doppelte ihrer jährlichen Einnahmen aus der Gewerbesteuer?“ Das konnte nicht richtig sein, dachte Fürstenwerth und beschloss, sich einzumischen. Er sprach die Stadträte aller Parteien an, schrieb an die Abgeordneten der Finanzausschüsse in Land- und Bundestag, sogar die Staatsanwaltschaft schaltete er ein – und erreichte doch bis heute gar nichts.

Denn bei der Suche nach dem Motiv für das großzügige Steuergeschenk stieß er auf ein perfekt organisiertes Netzwerk aus rund zwei Dutzend anonymen Kapitalgesellschaften mit Adressen von Singapur bis zu den Cayman Islands, die nicht einmal einen offiziellen Vertreter haben, aber dafür die größten und teuersten Anwalts- und Beraterfirmen auf ihrer Seite. Diese hatten für ihre Auftraggeber einen komplexen Deal ausgehandelt, der für die Kommunalpolitiker der Stadt gar nicht zu durchschauen war. „Da wurde die öffentliche Hand eiskalt ausgetrickst“, klagt Fürstenwerth. Das von Vizekanzler Franz Müntefering einst ausgegebene Schimpfwort von den Finanzinvestoren als „Heuschrecken“, die Firmen kaufen und ausplündern, erhalte mit dem Fall TMD Friction eine weitere Bedeutung, meint Fürstenwerth. Nachdem immer mehr der übernommenen Firmen in Schieflage geraten, müsse nun der Fiskus zahlen. Der Leverkusener Fall werde bundesweit Schule machen, warnt er.

Dabei hatte doch alles ganz anders kommen sollen. Als der britische Industriekonzern BBA im Jahr 2000 sein Geschäft mit Bremsbelägen abstieß, organisierten die vier leitenden Manager des in Leverkusen angesiedelten Konzernzweigs eine Übernahme durch den Bankenriesen HSBC. Dessen Abteilung für „Private Equity“ – also für Kapitalbeteiligungen –, die heute unter dem Namen Montagu firmiert, erwarb im Namen einer Gruppe individueller Anleger für 650 Millionen Euro den Bremsenkonzern. Mit Produktionsstätten in zwölf Ländern von Brasilien bis China beschäftigt der Autozulieferer heute 4500 Mitarbeiter, davon knapp die Hälfte in Deutschland. Über kurz oder lang werde man das Unternehmen unter dem neuen Namen TMD an der Börse wieder verkaufen, kündigte ein HSBC-Manager an.

Doch daraus wurde nichts. Zwar war der Konzern hoch profitabel. Aber das änderte sich nach dem Verkauf schlagartig. Denn den finanzierten die neuen Eigentümer über Kredite, deren Zinsen und Tilgung fortan das Unternehmen aufbringen musste. De facto bezahlte die Firma so ihren eigenen Kauf. Folglich fiel fortan zumindest steuerrechtlich kein Gewinn mehr an, Stadtkämmerer und Finanzminister gingen leer aus. Schon damit sei „das Gemeinwesen erheblich geschädigt worden“, sagt Kritiker Fürstenwerth. 

Gleichzeitig ging es in den Büros und Produktionshallen härter zu. Textar, wie die Firma einst hieß, sei zuvor „ein sehr soziales Unternehmen gewesen“, erzählt einer der Arbeiter. Doch mit der Übernahme wurden alle Vergünstigungen gestrichen. Jubiläumsprämien und der Zuschuss zur Altersversorgung fielen weg, und seit Juli 2006 arbeiten die Beschäftigten monatlich zehn Stunden mehr ohne Lohnausgleich. Zugleich verzichteten sie für zwei Jahre auf Tariferhöhungen. 

Trotzdem ging die Rechnung der Investoren nicht auf. Sie brauchten weitere Bankkredite, und als die nicht zu haben waren, nahmen sie sogenannte Mezzanin-Darlehen auf. Solche Kreditgeber haben bei Ausfall der Zahlungen erst an zweiter Stelle Zugriff auf den Unternehmensbesitz, kassieren dafür aber umso höhere Zinsen. Im Fall TMD sollen diese bis zu 20 Prozent betragen haben, berichtet ein früherer leitender Manager der Firma. Das wurde den Eignern schließlich zum Verhängnis. Wohl erwirtschaftet das Unternehmen operativ einen Jahresgewinn von rund 60 Millionen Euro, aber nur ohne die Bedienung der Kaufkredite. Doch schon 2005 betrug die Zinslast 81 Millionen Euro, wie die Firma gegenüber den Finanzbehörden erklärte. Wie genau es dazu kam, dazu geben die Montagu-Investoren keine Auskunft. Auch der derzeitige englische Firmenchef Derek Whitworth, er ist schon der dritte in fünf Jahren, möchte dazu lieber nichts sagen. 

Klar ist hingegen, dass mittlerweile ganz andere Eigentümer das Sagen haben. Der Hebel dafür waren die Mezzanin-Kredite. Schon Ende 2005 stellte sich heraus, dass diese eigentlich wertlos waren. Die Firma sei gerade noch so viel wert gewesen, wie TMD an klassischen Bankschulden hatte, sagt Vorstandschef Whitworth. Viele Risikogeldgeber hatten darum ihre zweitrangigen Mezzanin-Kredite mit erheblichen Preisabschlägen weiterverkauft. Nun lagen sie in der Hand von gleich 21 sogenannten HedgeFonds, Finanzinvestoren also, die mit hohem Risiko handeln. Diese Gläubiger waren es, die nun die Regie übernahmen und Montagu aus dem Geschäft drängten – ein Phänomen, das in der Londoner Finanzszene „Piranha“-Strategie genannt wird.

Die Gläubiger, darunter Fondsmanager der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs, kamen mit Montagu überein, alle alten Darlehen aus den Büchern zu streichen. Im Gegenzug bekamen die Inhaber der Mezzanin-Darlehen 95 Prozent der Firmenanteile. 

Dumm nur, dass durch die Löschung der Altschulden dem Konzern an seinem alten Sitz in Leverkusen ein Bilanzgewinn zuwuchs, der eigentlich steuerpflichtig war. Neben den rund 100 Millionen Euro Gewerbesteuer wäre darum auch eine ähnlich große Summe an Körperschaftssteuer fällig gewesen. 

Die richtige Lösung für das Problem fand der Beratungskonzern Price Waterhouse Coopers (PWC). Im Auftrag der TMD-Eigentümer beantragten die PWC-Berater beim Düsseldorfer Finanzministerium den Verzicht auf die Steuer und beriefen sich dabei auf einen Erlass des Bundesfinanzministeriums. Demnach können die Finanzbehörden auf die Besteuerung verzichten, wenn zuvor die Gläubiger einer in Zahlungsprobleme geratenen Firma ihrerseits auf Forderungen verzichten. Dies, so schrieben die PWC-Berater dem Leverkusener Finanzamt, sei im Fall der neuen TMD-Eigentümer bei der „CayCo“ genannten Karibik-Gesellschaft ja eindeutig gegeben. Denn sie würden Kredite im Nennwert von 200 Millionen Euro abschreiben und bekämen dafür ein Unternehmen, das viel weniger wert sei. 

Diese Argumentation, meint dagegen Unternehmensberater Fürstenwerth, sei „abenteuerlich“. Das Gegenteil sei richtig. Erst hätten die neuen Eigentümer die Forderungen billig gekauft, und nun würden sie im Tausch dafür ein an sich völlig gesundes Unternehmen bekommen. „Die verzichten auf gar nichts und lassen sich jetzt auch noch steuerfrei stellen“, schimpft er. De facto werde so die „Ausplünderung der Firma nachträglich staatlich begünstigt“. Doch die Beamten des Düsseldorfer Finanzministers Helmut Linssen (CDU) hatten damit kein Problem. Sie hielten es nicht einmal für nötig, einen unabhängigen Gutachter ermitteln zu lassen, ob die neuen Eigentümer tatsächlich einen Verzicht geleistet hatten, als sie ihre Schuldentitel gegen das Eigentum am Unternehmen tauschten. Stattdessen winkten sie die Konstruktion im vergangenen Oktober einfach durch. Artig bedankte sich denn auch der TMD-Chef schriftlich beim zuständigen Ministerialdirigenten dafür, "dass Sie unseren Antrag sehr konstruktiv begleiten."

Nachdem so die Körperschaftssteuer erledigt war, geriet nun die Stadtverwaltung Leverkusen unter Druck. Auf einer kurzfristig anberaumten Sitzung des Finanzausschusses stellte Oberbürgermeister Ernst Küchler (SPD) die Abgeordneten vor vermeintlich vollendete Tatsachen. Entweder man verzichte auch auf die Gewerbesteuer, oder das Unternehmen müsse Insolvenz anmelden und Leverkusen verliere 950 Arbeitsplätze, sagte Küchler bei der Sitzung in der ersten Novemberwoche. Der Beschluss fiel ohne Gegenstimme. Ohnehin sei es ja nur um eine „fiktive Steuer“ gegangen, rechtfertigt Küchler das Hau-Ruck-Verfahren, das Unternehmen habe ja nicht wirklich Geld bekommen. Auf Nachfrage gesteht er allerdings, dass nicht mal er weiß, wer eigentlich die Begünstigten sind. „Wir wollten nur kein Risiko für die Arbeitsplätze eingehen“, sagt er.

Das aber ist gleichwohl gegeben. Denn schon bald darauf kündigte TMD- Chef Whitworth an, dass 300 Arbeitsplätze zugunsten eines neuen Werkes in Rumänien gestrichen werden sollen. Zudem hat TMD nach der Umstrukturierung sofort wieder 325 Millionen Euro Schulden aufgenommen, die nur zum kleinen Teil für neue Investitionen verwendet wurden. 250 Millionen dienten nur der Umschuldung. 

Erst als Berater Fürstenwerth seinen Protest anmeldete, schwante darum einigen Stadträten, dass die Insolvenz womöglich die bessere Lösung gewesen wäre. Denn auf einen Schlag wäre der Konzern alle Gläubiger losgeworden und hätte vom Insolvenzverwalter als im Prinzip grundsolides Unternehmen an einen industriellen Investor verkauft werden können. Darum versuchten zumindest die Abgeordneten der örtlichen „Bürgerliste“, den Beschluss noch einmal in Frage zu stellen. Doch bei der angesetzten Sondersitzung ließ die regierende Mehrheit aus SPD und CDU den eigens geladenen Kritiker nicht einmal sprechen.

Dadurch erst recht aufgebracht, suchte Fürstenwerth Beistand bei den zuständigen Abgeordneten im Bundes- und im Landtag. Doch 16 der 18 angeschriebenen Mandatsträger interessierten sich für die angemahnte Steuergerechtigkeit wenig. Und die beiden, die wenigstens nachfragten, ließen sich von den Ministerialen mit dem Verweis auf das „Steuergeheimnis“ abspeisen. Der sonst so kampfstarke Leverkusener Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach (SPD) entschuldigte sich auf Nachfrage mit seinem aufreibenden Streit um die Gesundheitsreform und versprach dafür, dem Thema künftig nachzugehen. Im Fall TMD sei „das Steuerrecht skrupellos zulasten der Allgemeinheit verbogen worden“, sagt Lauterbach heute. Dagegen müsse man vorgehen. 

Die Gelegenheit dazu wird sich bald bieten. In Kürze will Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) dem Bundestag ein Gesetz zur Regelung der Private-Equity-Branche vorlegen. Deren Leverkusener Kritiker hat seinen Protest vorerst aufgegeben. Aber wenn er zur Bundestagsanhörung als Sachverständiger geladen würde, sagt Hauke Fürstenwerth, „dann komme ich gerne“.

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Die Piranha-Strategie
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